Dietmar Lucas

Dietmar Lucas ist noch nicht allzu lange in Hellersdorf, seit sechs Jahren. Dreißig Jahre lang lebte er in Münster, Westfalen.
»Ich habe irgendwann entdeckt, dass ich diese lebendige Energie von Berlin gern mehr in meinem Leben hätte, weil man hier soviel tanzen kann. Und die Gelegen­heit ergab sich. Ich war damals mit einer Frau aus Polen zusammen und die wollte auch nach Berlin – und da hab’ ich gedacht, dann ziehen wir zusammen, großes Abenteuer. Ich hab’ die letzten zwanzig Jahre in Münster schon sehr ruhig gelebt, wirklich so Stadtrand-Lage, grün, und hab’ das sehr genossen: ich habe meine Akku­-Auflade-Station […] Und das habe ich mir in Berlin dann auch wieder gesucht.

Und ich wollte etwas kaufen, ich hatte das Geld übrig. Ich dachte, vielleicht geht das ja in Berlin und hab’ die Suchmaschinen angestellt, hab’ da 50.000 Euro eingegeben und diese Suchergebnisse nach Größe sortieren lassen. Dann kam immer wieder Hellersdorf ganz oben. Hellersdorf, Platten­bau. Ich hab’ das erst so abgetan, dachte, ach, Plattenbau, wer will denn schon im Plattenbau wohnen.

Und dann hab’ ich gedacht, fahr ich mal hin. Also bin ich hingefahren, bin ausgestiegen und hab’ meinen Ohren nicht getraut: Wow, ist das ruhig hier! – für Berlin. Das ist in Berlin und ruhig – genial. Und dann hab’ ich mir die Wohnung angeschaut, 90 Quadratmeter, und dachte, das ist einfach zu gut, zu toll. Dann hab’ ich in dem Fünf­geschosser extra die Wohnung ganz oben genommen, dass mir auch niemand auf dem Kopf tanzt. Alles super-chic, die Nachbarn sind ruhig. Es war einfach genauso, wie ich mir das gewünscht hatte. […] Das Prinzip habe ich schon 20 Jahre lang erprobt und für richtig gefunden, ruhige Stadtrand-Lage, wohnen und in die Stadt rein pendeln. Besuch zu bekommen in Hellersdorf von den Leuten, die ich in Berlin kennengelernt habe, das ist schon schwierig. Aber das war es die letzten 20 Jahre in Münster auch. «
Auch arbeiten tut Dietmar in seiner Wohnung, obwohl er ein paar Jahre sogar noch nach Münster gependelt sei, berichtet er mir. Er bezeichnet auch seine Wohnung in Hellersdorf als Akku­-Auflade-Station. So sei er für Aktivitäten zunächst eher in anderen Bezirken Berlins unterwegs gewesen. »Erst seit Sabrina [seine Freundin] eingezogen ist und sie diesen Kiez entdeckt, entdecke ich den mit ihr zusammen.« Sabrina ist sehr engagiert im Bezirk. Das läge auch daran, dass man sich in Hellersdorf nicht einfach im Café oder der Kneipe um die Ecke zusammenfindet. »Wüsste ich auch gar nicht, wo man da hin geht«, meint Diemar. Hellersdorf ist eben auch unglaublich weitläufig. »Es sind schon verschiedene kleine Dörfer und dann auch verteilt. Und jeder Block ist dann so ein eigenes Dorf, ein bisschen. Aber ich vermute, dass genug Leute da wären, um auch spannende Sachen zu betreiben, aber da fehlt so dieser Start‑­Impuls. Bei mir im Block sind zum ­Beispiel ein paar, die machen schamanische Rituale, sie haben einen Raum als kompletten Ritual-Raum gestaltet.«

Auch berufsbedingt hat Dietmar Ideen und Pläne, was er in Hellersdorf machen könnte. »Ich schleiche seit einiger Zeit um Ideen herum, etwas für Hochsensible in Hellers­dorf anzubieten, einen Stammtisch, oder eine Gesprächsrunde. Aber da merke ich, das braucht noch Anlauf, so als wäre das etwas Fremdes, Neues, Unbekanntes. Ich glaube, meine größte Scheu ist vor dieser unglaublichen Menge von Menschen, die in Hellersdorf leben und die auch ein bisschen anonym daher kommen – wie erreiche ich denn da diese Zielgruppe? Das stelle ich mir noch ein bisschen schwierig vor.«

Ich frage, was Hellersdorf für Dietmar ausmachen würde und wieso er gerade dort hin gezogen sei. »Also es gibt zwei Komponenten, die ich wunderbar finde. Das ist die Ruhe. In […] Berlin gibt es überall sehr viele Menschen-Geräusche und hier ist das sehr gedämpft, da hört man noch nicht mal das Rauschen von der Autobahnzufahrt, es ist sehr relaxt. Das ist das eine. Und diese direkte Nähe zum Grün. Du setzt einen Fuß raus hinterm Block und da fängt die Weiher-Kette an: direkt – direkter geht’s ja nicht, Natur zu haben. Das finde ich an Hellersdorf so genial. Die Verkehrsverbindungen sind gut, aber das gilt für Berlin allgemein.« Denn es ginge ihm »schon auch um die Nähe, die Anbindung nach Berlin-Zentrum. Und in zwanzig Minuten bin ich in Bernau.«

Ich frage, ob Dietmar je an seinem Leben in und mit Hellersdorf gezweifelt hätte, ob schon mal der Gedanke aufkam, wegzuziehen. »Also, es ist noch nicht perfekt. Eigentlich brauche ich noch eine Werkzeug­garage, wo ich viel Krach machen kann, basteln, ein Werkzeuglager.«

Wir phantasieren für einen Moment ­gemeinsam über offene, kollektiv betriebene Werkstätten in Hellersdorf. Dietmar überlegt: »Einen Community-Workspace. Es hört sich ein bisschen so an, als wäre der lebendige Unterbau eines Kiezes noch nicht so gewachsen. Oder vielleicht ist das auch so, dass ich das noch nicht kennen­gelernt habe – es kann auch sein, dass es das gibt und ich das gar nicht weiß.«