
Adelheid Braun

Die Gutsgartentruppe, zu der auch Adelheid gehört, bereitet den Kaffeetisch vor. Wir setzten uns etwas abseits in den Schatten, es ist ein heißer Spätsommertag. Ich weiß, dass Adelheid keine gebürtige Berlinerin ist. Deshalb interessiert mich vor allem die Frage, wann und weshalb sie von allen Bezirken Berlins ausgerechnet nach Hellersdorf gekommen sei. Erst seit letztem Jahr im Januar lebe sie hier. »Ich war ein paar Mal hier in Berlin zum Urlaub und auch in Hellersdorf und auch berufsmäßig war ich in Berlin und – ich wollte wieder in eine Großstadt. Ich hab’ ja in Altenkirchen diesen Regionalladen geleitet für ein paar Jahre und habe den dann an zwei Leute übergeben […] weil ich wollte wieder in die Stadt.
Und dann habe ich überlegt – ja, wohin? Hamburg: zu teuer, München: kenn’ ich schon, Köln auch… dann Berlin – Hellersdorf. Ok, das hat mir gut gefallen hier und es ist auch von den Mieten her bezahlbar. Und hier ist es ruhig. Ich wollt’ auch nicht mitten in die Stadt, aber […] eine gute Verkehrsanbindung. Und hier kann man gut mit dem Fahrrad fahren, man ist direkt in Brandenburg, das Wuhletal, Kienbergpark, Gärten der Welt – ist alles […] erreichbar und es ist wunderschön hier. Und nachts ist es ruhig und man kann schlafen (lacht).« Adelheid kommt sichtlich ins Schwärmen. Sie berichtet, dass sie eigentlich immer gern in Großstädten gelebt hätte, obwohl sie ursprünglich aus dem Westerwald vom Dorf kommt. Auch in Los Angeles hat sie gewohnt und Berlin erinnere sie ein wenig daran. »Durch diese Weite, diesen endlosen Horizont und diese breiten Straßen.«
Hellersdorf – das ja nicht gerade der Berlin-typische Bezirk für Zuzügler ist – hat Adelheid durch die Ferienwohnungen kennengelernt, die sie zweimal hatte. »Und ich wollte ins Grüne, also an den Rand der Stadt mit einer guten Verkehrsanbindung. Sodass ich, wenn ich das will, in das Gewühle der Innenstadt fahren kann und nachts hab’ ich meine Ruhe.« Ich frage, ob sie Freunde hier hätte, oder einfach so hergekommen sei. »Ich hab’ lockere Freunde in Berlin – und bin dann halt einfach hierher gekommen. Ich bin alleine unterwegs.« Eigentlich wollte sie nach Amerika auswandern, dann sei aber ihre Mutter krank geworden und sie nach Hause zurückgekehrt, um sie zu pflegen. »Und seit Trump an der Regierung ist…da hab’ ich echt keinen Bock (lacht).« Von Beruf her ist sie Sozialpädagogin und Altenpflegerin. Nachdem sie aufgehört hatte, zu arbeiten, um ihre Mutter zu pflegen, übernahm Adelheid ehrenamtlich den Regionalladen. Ob sie sich das hier in Hellersdorf auch vorstellen könne, frage ich. »Jein (lacht…) ich hab’s ja da aufgehört – weil ich bin […] 68 und ich will jetzt auch bisschen kürzer treten.«
Ich habe den Eindruck, dass Adelheid an Orte kommt und sich umguckt, was es gibt und was man machen kann. »Ja. Wenn ich irgendwo hinziehe, dann gucke ich nach einem Chor, nach einer Kirchengemeinde, oder einem Garten. […] Ich hab’ dann hier geguckt nach einem Gemeinschaftsgarten oder interkulturellen Garten und bin dann im Internet auf Gut Hellersdorf gestoßen. Das war letztes Jahr im März.« Ob die Gemeinschaft und die Menschen hier ihr wichtig wären? »Ja, das ist mir wichtig. Ich bin zweimal die Woche hier. Und wenn irgendwelche außerzeitlichen Sachen sind, auch.« Was Hellersdorf noch für sie bieten würde, frage ich. »Also, ich bin in der Kirchengemeinde in der Glauchauer Straße, da bin ich auch ehrenamtlich aktiv und […] im Chor. Das ist auch so eine Säule, die ich immer haben muss – also ich muss singen können, ich muss in die Kirche gehen können, mich da wohl und zu Hause fühlen. Und ansonsten erkunde ich halt Berlin. Ich hab’ so einen Seniorenpass, wo man in ganz Berlin und Brandenburg herumfahren kann und fahre dann viel durch die Gegend oder gehe in Konzerte. Es gibt so viele Möglichkeiten, wo man für wenig Geld hingehen kann.« Ob ihr Berlin gefalle? »Ja, total! Es ist so eine bisschen chaotische Stadt. Was mir gefällt ist, dass ich hier anonym unterwegs sein kann. Hier kennt mich keiner, ich kann anziehen, was ich will, ich kann mich verhalten, wie ich will. Gut, ich mach jetzt keinen Blödsinn, aber das interessiert keinen – ich werd nicht blöd angequatscht – ich kann mich also wirklich so ganz normal und unbedarft verhalten.«
Adelheid erzählt mir, dass zwischen ihrem und dem Nachbarhaus ein Theater gebaut werden würde. Sie freut sich darauf. »Da ist vielleicht auch ein bisschen Gastronomie drin, sodass man abends mal dahin gehen kann, ohne wer weiß wo hin zu müssen, dass man mal ein Bierchen trinken oder was essen geht. Das fehlt mir in Hellersdorf schon ’nen bisschen. Das man abends einfach mal so vor die Tür geht oder irgendwo hin und mal ’n Bierchen trinkt. […] Ich habe lange nach einem Café gesucht, wo man mal frühstücken kann. Das einzige, was ich jetzt so kenne, ist am Freizeitforum, das Café Engels oder in Kaulsdorf die Eisdiele.« Im Sommer fahre sie deshalb auch viel »in die Stadt«, einfach, um in Cafés zu sitzen. Auch für kulturelle Veranstaltungen fahre sie eher nach Berlin rein. Dennoch gäbe es ein paar Dinge in Hellersdorf, wie etwa zwei schöne Kinos.
Wir sprechen über Entwicklungen im Bezirk. Es ärgere Adelheid, dass überhaupt nichts an den Fahrradwegen gemacht wird, die in einem schlechten Zustand sind. Und für ein anständiges Brot fahre sie bis nach Mahlsdorf, erzählt sie lachend. Vor allem Corona-bedingt seien viele Dinge platzmäßig limitiert, wie den Vortrag über Hölderlin, zu dem sie in Hellersdorf in die Bibliothek gehen wollte, oder der Frauentreff, in welchem sie etwa in einer Singgruppe ist. Im Gutsgarten hätte die Gruppe und auch Besucher Glück, dass alles draußen stattfindet und das Wetter dieses Jahr wirklich gut ist. Auch ihr Chor sänge grade im Freien, berichtet Adelheid. »Ansonsten kann ich nicht klagen. Ich hab’ genug Kontakte, genug zu tun – manchmal zu viel.« In Altenkirchen sei es manchmal langweilig gewesen. »Hier, wenn ich mal Langeweile haben sollte, setz ich mich in die Tram und fahr in die Stadt und lauf da rum und guck mir das oder das an, oder geh ins Museum. Es gibt so viele Möglichkeiten, da kommt man gar nicht hinterher. Ich hab’ne lange Liste, wo ich hinwill, was ich alles angucken will und die wird immer länger (lacht).« Ein Konzert von Biermann in der Gedenkstätte in Höhenschönhausen hat sie besucht und »der Gysi war mal hier unten, den hab’ ich mir angehört«, letztes Jahr war das. »So Sachen findet man halt in der Berliner Woche oder kriegt das durch Zufall mit. […] Ich gehe jeden Tag in die Bücherei und lese die Tageszeitung.« So würde sie viel davon erfahren, was in der Stadt so los ist.
Sie sei auch oft in der Gedächtniskirche, die schöne Veranstaltungen haben und wo sie zuerst in den Chor wollte. War aber zu viel regelmäßige Fahrerei. Dann hätte sie sich einen Chor der ökumenischen Gemeinde in Hellersdorf angeguckt. »Die haben mich nicht genommen, das muss ich nochmal sagen – weil die nehmen keine Leute über sechzig. Das fand ich unverschämt, hab’ das denen auch geschrieben – das fand ich diskriminierend. Obwohl der gar nicht gehört hat, ob ich singen kann oder nicht! Und das stand aber nicht im Internet, inzwischen haben sie es auf ihrer Seite stehen, vorher nicht. […] Und dann hab’ ich diese Kirchengemeinde gefunden und bin ganz glücklich. Wir haben einen ganz tollen […] jungen Pfarrer.« Die würden auch Leute über sechzig nehmen, lacht Adelheid. In einer Kirche, die in den achtziger Jahren kurz vor der Wende gebaut wurde.
Ich frage, ob sie noch etwas Wichtiges sagen möchte. »Ich bin hier einfach glücklich. Ich fühl mich richtig wohl hier, richtig zu Hause hier und zwar von Anfang an. Das ist eigentlich so auch noch nicht gewesen, dass ich mich wirklich zu Hause fühle. Mir gefällt Berlin einfach, wie gesagt – dieser endlose Horizont, diese weiten Möglichkeiten, nach Brandenburg mit dem Fahrrad rein zu fahren, mal durch den Kienberg […], so viel Natur hier zu haben, spazieren gehen zu können. Anonym, oder auch Leute zu treffen. Also, ich fühl mich richtig, richtig gut hier. […] Ich bleib hier.« Ich sage, dass sie sehr glücklich wirke. »Ich bin auch glücklich. Oder ich sorge auch dafür, dass ich glücklich bin, sagen wir es mal so. Da, wo ich unglücklich bin, gehe ich nicht hin. Ich hab’ ja die Freiheit, ich hab’ auch die finanziellen Möglichkeiten, in einem bescheidenen Rahmen das zu machen, was ich möchte […]. Ich kann tun, was ich für sinnvoll und gut halte.«